Mythologie:
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Medusa - Die Versteinerungsmaske
Der Mythos:
Medusa, eine Gorgone, Tochter der Keto und des Phorkys, die beide MeeresbewohnerInnen waren, hatte zwei Schwestern, Stheno, die Starke und Euryale die Weitspringende. Dem patriarchalen Mythos zufolge schlug ihr Perseus mit Athenes Hilfe, das Haupt ab, und gab es Athene, die es fortan als Schutzschild (Gorgonaieon) gegen Dämonen trug. Mit einer goldenen Sichel, wie sie auch von den keltischen Merlins zum Mistelschneiden verwendet wurden, fand die Enthauptung statt. Seine Zauberdinge, geflügelte Sandalen, eine Tarnkappe, einen Mantelsack für Medusas Kopf, Athenes Spiegelschild und die genannte Sichel von Hermes, waren, neben List und Brutalität, das Rüstzeug mit denen sich Perseus, Heros der Olympier, in Medusas Nähe wagte.
Um zu Medusa zu gelangen, musste Perseus die drei Graien (ebenfalls Gorgos Schwestern), die gemeinsam nur einen Zahn und ein Auge hatten, überlisten. Als sie einander das Auge weitergeben wollten, stahl es Perseus und so mussten sie ihm den Weg zu Medusa weisen.
Medusa (1) war wahrscheinlich eine nordafrikanische (Libyen) Göttin, oder eine Orakelpriesterin, wie es die Geschichte mit ihren Augen nahe legt. Ob der erzählte Mythos von ihrer Köpfung sich tatsächlich ereignet hat ist stark anzuzweifeln, zumal die handelnden Personen, der patriarchale Heros Perseus und Athene, die wahrscheinlich mit Medusa ident ist, kein wirkliches Motiv hatten Medusa zu köpfen. Perseus Beweggrund war schlichte Angeberei. Der Anlass für seine Tat war ein Pferdehandel zwischen Perseus und Polydektes. Polydektes forderte von seinen Freunden und von Perseus, Pferde, um Hippodameia freien zu können. Perseus hatte weder Pferd noch Geld, obwohl er König Polydektes' Ziehsohn war. Anstelle bot er an das Haupt der Medusa zu bringen. Medusa ist eng verknüpft mit einem Pferdekult. Pferden wird die Zauberkraft der Weissagung zuerkannt und die Fähigkeit "die unheimliche Gegenwart einer unterweltlichen Macht zu verkörpern". (2) Sie werden als edel, schnell, wild, gereizt und rasend dargestellt und als geflügelte Wesen die im Himmel als auch auf der Erde die Streitwägen zogen. Medusa entstammte, wie Athene, einem Amazonenvolk, den Gorgonen, aus dem Lande der Hesperiden (Tunesien), dort wo die goldenen Äpfel (Unsterblichkeitsfrüchte der Göttinnen) wuchsen. Den Amazonen, zu denen die Gorgonen zählten, wird ein ausgeprägter Pferde- und Schlangenkult nachgesagt, daher wird Medusa auch mit Schlangenhaar und einem kleinen Pferd dargestellt. Das geflügelte Pferd (3) Pegasus das ihrem Kopf, nach der Tötung, entsprungen sein soll, hält sie in zahlreichen Abbildung schon vor der Köpfung an sich gedrückt. Im Mythos eingefangen von Bellerophon, einem Heroen, war Pegasus das Pferd, mit dem er die Amazonen, allein (!) besiegte. Das zweite mythologische Wesen das Medusa bei der Köpfung entsprungen sein soll war Chrysaor, der Mann mit dem goldenen Schwert. Seine Funktion war, Zeus Donner und Blitz zu geben, die Attribute seiner Mutter. In den griechischen Mythen werden Frauen oft von denen getötet die sie selbst
gebaren - interessanterweise sind es auch meistens Göttinnen (!) die dem Patriarchat behilflich sind ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen aus dem Thron zu heben. Göttinnen kämpfen gegen Göttinnen die sie selber sind. Jedenfalls laut patriarchaler Überlieferung. In Medusas Fall führte Athene Perseus Arm bei der Köpfung, Pegasus war das Pferd auf dem Bellerophon ihr Volk, die Amazonen niedermetzelte und Chrysaor übergab ihre Machtattribute dem neuen Gott Zeus. Ein Blick auf den Stammbaum der olympischen Götter zeigt wie absurd ihre Geschichten waren mit denen sie die Vormachtstellung erkämpften.
Das Erringen der religiösen Macht beginnt meistens mit der sehr profanen Zerstörung alter Kultstätten und -figuren, das Auslöschen der SeherInnen und PriesterInnnen, die die Ver-Mittler-stellung zwischen Gottheiten und Gläubigen innehatten. In die leer gefegten Kultstätten ziehen neue Vermittler/Medien und neue Inhalte ein. Die Geschichten die die neuen Medien als Botschafter ihrer Götter erzählen, ist durchzogen von einer Blutspur bis in die heutige Zeit. Gewalt wird als faszinierend dargestellt, doch Gewalt macht Angst. Wer Angst hat fürchtet sich, wer sich fürchtet wird gelähmt und handlungsunfähig, und betet wahrscheinlich zu den neuen Göttern, die die Ursache für das Übel sind. "Alle drei Minuten Gewalt im ORF" lautet die Schlagzeile der Tageszeitung "Der Standard" in der Wochenendausgabe vom 24. und 25. Jänner 1998. 69% der Sendungen die 1997 im ORF1 gezeigt wurden beinhalten bis zu sieben aggressive Akte von Gewalt, so das Ergebnis der Forschungsgruppe Mediawatch. Das Unterhaltungsangebot des Mediums ORF1 setzt sich vorwiegend aus Produktionen von den USA (83%) zusammen. Der Rest verteilt sich auf Europa und Österreich, jeweils 6% und auf Asien mit 5%. (4) Zeigen von Gewalt ist keine Domäne der TV-Sender, sondern zum Großteil Bestandteil aller Informationen die uns über die Medien wie Radio, Zeitung, Bücher, Netz etc., erreichen. Vielleicht ist es die Aufgabe der Medien den Tod vorzuspiegeln, Grauen zu erwecken? Doch warum musste Medusa sterben? Tiere und Männer die in ihre Augen blickten erstarrten zu Stein. Von Frauen die durch ihre Augen zu Stein erstarrten gibt es mythologisch keine Überlieferungen. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass Frauen sich vor ihren durchdringenden Blick nicht fürchteten, weil Medusa die Schutzgöttin der Frauen war. (5) Was lag in ihrem Blick dass Männer und Tiere schockierte, erstarren und versteinern ließ? Als Erklärung wird Medusas Aussehen herangezogen. Gar schrecklich war sie anzusehen, mit ihren Schlangenhaaren, (6) Hörnern auf dem Kopf, zwei Reihen von Fangzähnen, die Zunge herausgestreckt, behaartes Kinn und runzlige Haut. Ursache für ihr gespenstisches Aussehen kann eine Kultmaske sein, die sie trug, wie Dionysos, der mit der Geburt der Tragödie in Zusammenhang gebracht wird.
Die Tragödie, das „Nachspielen“ der Mysterienfeste mit Masken durch Schauspieler, wurde zur neuen "Ausdrucksform der Heroenverehrung. (7)
Das Medium Theater als Spiegel gesellschaftlicher Ereignisse ersetzte nicht die kultischen Handlungen sondern war Teil von ihnen. So erklären sich auch die großen Theateranlagen in der Nähe der antiken Orakelstätten, die teilweise ein Fassungsvermögen von fünfzehntausend Besuchern hatten. Wie das Instrument Spiegel, als Erweiterungsfunktion des Sehsinns, der Fähigkeit hell zu sehen, hat auch das Theater die umgekehrte Funktion der Hervorbringung und Bannung des Dämonischen. Perseus war kein Seher, wusste über Spiegelfunktionen nicht Bescheid wie Medusa, und er war auch kein Held, sondern ausführendes Organ der anbrechenden Zerstückelungskultur.
Durch den Schnitt mit der Sichel war ihre Sehkraft, das Grau-en in ihren Augen gebannt, denn ihr Blick war der Blick durch die Erscheinungen und Zeiten hindurch, offenbarte und bewachte das Verborgene, das Mysterium schlechthin.
Medusas Gesicht, das erstarren machende Gesicht, hatte noch die Funktion der Abwehr zu leisten, als Gorgoneion. Als Zeichen für die Überwindung der Dämonen wurde das Gorgoneion als apotropäisches Zeichen im profanen und sakralen Bereich verwendet, auf Tempel, Tore, Schilden, Münzen, als Amulette und auf Haushaltswerkzeugen und mutierte zu einem der bekanntesten Abwehrzeichen und wahrscheinlich erstem Massenmedium der Menschheitsgeschichte. Sogar der Modezar Versace hatte Medusa als Symbol für sein Unternehmen.
© Irmgard Klammer, Textauszug aus „Neue und alte Medien – eine Spurensuche.
Fussnoten:
1) "Medusa, das kann die Herrscherin heißen, ganz direkt; aber es ist zunächst einmal die, die denkt, die Geist hat, die Sinnende. Es ist also diejenige, die qua Geist herrscht und nicht qua Gewalt - wahrlich kein unbedeutendes Wort in der griechischen Sprache." Vgl. Klaus Heinrich, Floß der Medusa, Stroemfeld Verlag, Basel, Frankfurt am Main 1995, S. 21
2) Vgl. Jean-Pierre Vernant, Tod in den Augen, Fischer, Frankfurt am Main 1988, S. 44
3) Möglicherweise ist die Querverbindung zu "hack" zu weit hergeholt, die sprachliche Verwandtschaft aber ist eine Erwähnung wert. "Hack" aus dem Englischen übersetzt bedeutet nicht nur (zer)hacken, einkerben, Steine behauen, treten, holzen, sondern auch auch: Mietpferd, Gaul, Klepper, Taxi, abnutzen, schinden, dahintrotten.
4) Vgl. Der Standard, Tageszeitung, Hrsg.: Oskar Bronner, Wien 24. und 25. Jänner 1998
5) Nach Barbara Walker war Gorgo ident mit Athene. "Gorgo, Gorgon oder Gorgopis, das schreckliche Antlitz, war Athenes Titel in ihrer Funktion als Totengöttin. Die Athener versuchten, das auf Athenes Aigis, ihrem Schild, abgebildete Gorgonenhaupt auf den Mythos zurückzuführen, nach dem Perseus das Haupt der Medusa abschlug und zu seiner Göttin brachte. Allerdings war dies ein später Mythos, der den Zweck hatte, Athenes Wurzeln in Lybien zu verbergen, wo sie als Medusa oder Metis angerufen wurden. " Vgl. Barbara Walker, Das geheime Wissen der Frauen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993, S. 321
6) Nach Barbara G. Walker war Medusa die Schlangengöttin der lybischen Amazonen und repräsentierte die weibliche Weisheit.
"Kein Sterblicher hat bisher den Schleier lüften könne, der mich verhüllt, denn sie war der Tod, und sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, bedeutete zu sterben - also als eine Grabstatue zu versteinern. Sie war auch verschleiert, weil sie die Zukunft war, die immer hinter einem Schleier verborgen ist. " Vgl. Barbara Walker, Das geheime Wissen der Frauen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993, S. 692
Ihre Zuordnung zur Weisheit zeigt sich auch darin, daß Medusa mit Flügel und in Begleitung von Löwinnen, als animistisches Zeichen, dargestellt wird.
7)Vgl. Karl Kerenyi, Dionysos, Klett-Cotta, Stuttgart 1994, S. 200 |